War in der Vergangenheit doch nicht alles besser?
Wir schwelgen gerne in der Vergangenheit. Unter anderem, indem wir uns die zweifelhafte Bildqualität der Filme aus den 60ern und 70ern auf unseren 2020er Bildschirmen antun – und dabei auf all die technischen Feinheiten der Gegenwart und damit auch die Gründe, warum der neue Bildschirm eben einen Haufen Geld kostet, freiwillig verzichten. Dann sehen wir sie – zwar verpixelt und unscharf – aber das ist gleichgültig. Hier fahren die Autos, die wir heute als Oldtimer feiern, im ganz alltäglichen Verkehr.
In der Mattscheibe sehen ist das eine, selbst erleben das andere. Selbst hinterm Lenkrad eines Klassikers werken. Das hat Stil, das ist erdig - und wahnsinnig anstrengend. Oldtimer fahren ist nur lustig, solange man es nicht muss. Klar, in den Sixties kennt man weder orthopädisch korrekte Sitzmöbel noch Klimaautomatik. Die Lenkung hatte keine Servounterstützung, dafür war der Begriff Choke noch in aller Munde. Ein Auto im Rentenalter gehört auf eine kurvige Bergstraße in der Südsteiermark, bei der man an einem herrlichen Spätsommertag in einer Buschenschank einkehrt. Im alltäglichen Verkehrswahnsinn, der aus Tangente und Stop&Go besteht, kann so ein Oldtimer nix. Da kann er noch so schön sein - wenn man drinnen sitzt, sieht man es eh nicht.
Komfort ist eine Sache des Alters
Ja, früher war eben nicht alles besser. In einem mehr oder minder aktuellen Auto kühlt an einem heißen Tag die Klimaautomatik, im Winter werden Heckscheibe sowie Außenspiegel beheizt. Man genießt via Streaming übers Smartphone jedes erdenkliche Musikstück, wenn man nicht gerade via Freisprechanlage die Kollegen vertröstet, weil man im Stau steht. Eventuell hat man sogar ein Automatikgetriebe und einen adaptiven Tempomaten, der das Anfahren und Bremsen von selbst regelt während man im AGR-geprüften Komfortsitz lümmelt. Früher war Autofahren zwar ein Abenteuer, heute ist es dafür an Bequemlichkeit nicht zu überbieten. Bei keinem anderen Produkt sieht man trotz unverändertem Einsatzzweck die stille Revolution so gut wie beim Automobil. Grund für uns diese technologischen, ökologischen und sozialen Meisterleistungen anhand hochemotionaler Beispiele aufzuarbeiten.
Hochemotional deswegen, weil genau diese Autos niemanden kalt lassen - weder in der alten, noch in der neuen Version. Unser erster Kandidat wäre hier der Fiat 500, der ja per Definition die Gefühle zum Kochen bringt. Der erste Fiat 500 von anno 1936 hat mit der allseits bekannten Knutschkugel übrigens nix gemein und trägt den Beinamen Topolino. DER 500er, genauer der Fiat Nuova 500, kam 1957 auf den Markt und damit auch auf die Straßen dieser Welt. Der Cinquecento blieb, heute unvorstellbar, anfangs ein Ladenhüter. Gut, mit gerade einmal 13 PS war man auch in den grundsätzlich eher zahmen 50ern kein Renner. Die Italiener haben aber rasch den 15 PS-Motor nachgelegt, damit waren alle zufrieden. Der Luftgekühlte Zweizylinder im Heck bekam über die Jahre immer mehr Leistung - bis zu 21,5 PS.
Dem gebürtigen Wiener Karl, später Carlo, Abarth war das allerdings zu wenig. Bis zu 38 PS quetschte der dann unter dem Skorpion als Wappentier Kleinwagen aus seinem Aggregat. Damit wurden nicht nur ampulische Kleinbauern glücklich, sondern auch waschechte Rennfahrer. Das Konzept, einen möglichst kräftigen Motor in ein möglichst kleines Auto zu stecken, hat noch nie an Reiz verloren - auch 2008 nicht, als der neue 500 Abarth, den Asphalt betritt. Mit 135 bis 190 PS beschleunigt er die Herzen italophiler Autoliebhaber auf Schallgeschwindigkeit und sich selbst auf bis zu 230 km/h. Er ist schön, kompakt und ziemlich laut - eine Eigenschaft, die sein rein elektrischer Nachfolger eigentlich nicht teilen dürfte und es trotzdem tut.
Summer of 69, nur 54 Jahre später
Wesentlich größer und mit ähnlicher Fangemeinschaft ausgestattet ist der VW Bus. Seit über 70 Jahren mobilisiert er vom Simmeringer Handwerker über Tiroler Hüttenwirt bis zur campenden Hippiekommune alle Menschen mit überdurchschnittlichen Platzbedarf. Dabei hat der Bulli einen eklatanten Vorteil - jeder mag ihn. Aber auch birgt der Charme der 50er Jahre den Nachteil der Technik der 50er Jahre. Mit 25 bis maximal 44 PS ist eher Schleichfahrt angesagt. Der Sprint zur Höchstgeschwindigkeit, die teilweise unter der magischen 100 km/h-Marke liegt, benötigt zur Messung eher einen Kalender als eine Stoppuhr. Ja, das kann der neue deutlich besser. Und umweltfreundlicher, obwohl ihm seine optische Erscheinung geblieben ist.
Die Karosseriegestaltung des ID.Buzz entspricht nämlich ganz der Idee eines „Neuzeit-Bullis“ - die Hauptinspirationsquelle spielt eindeutig der T1. Retro ist der ID.Buzz trotzdem nicht, auch wenn die Zweifarblackierung auf das Woodstock-Zeitalter abzielt. Eine Front, die freundliche Gesichtszüge trägt, große Fensterflächen und ein Heck, das beinahe quadratisch wirkt - der Elektrobulli verbreitet schon beim reinen Anblick gute Laune. Der Motor ist, wie beim historischen Original, im Heck verbaut - dadurch bleibt zwischen den Vorderrädern viel Platz für einen großen Einschlagwinkel und das wirkt sich auf den Wendekreis aus, der mit nur 11 Metern auf dem Niveau eines Kleinwagens ist.
Der ID.Buzz fährt entsprechend agil, vor allem für sein Gewicht von rund 2,5 Tonnen. Dank der Platzierung des 77 Kilowattstunden großen Akkus im Fahrzeugboden und dem damit einhergehenden tiefen Schwerpunkt passt das Fahrgefühl zu den Hippen Charakterzügen des Flüsterbusses. Und jetzt zur Stammtischfrage: Wie weit kommt man mit einer Akkuladung? Laut WLTP rund 420 Kilometer. Das ist glaubhaft. Der angegebene Verbrauch von etwas mehr als 20 Kilowattstunden auf 100 Kilometer deckt sich mit unseren Erfahrungen. Wenn der Akkustand dem Ende zugeht, kann der ID.Buzz mit bis zu 170 Kilowatt Schnellgeladen werden - soviel schafft kein anderer VW und nur wenig andere Elektriker.
Sportlich, Leicht und seeehr luxuriös
So manch einer mag sich jetzt wohl fragen, wo denn die die Verbrenner in diesem Beitrag sind, die ja immer noch den Großteil der Neuwagenverkäufe verantworten. Die Antwort: Hier! Denn jetzt kümmern wir uns um eine Ikone des Sportwagenbaus, nämlich den Mercedes-Benz SL, einer Automobilen Skulptur, die ihren Ursprung bereits im Jahr 1952 hat und uns seither insbesondere an den Flaniermeilen, aber auch an den kurvigen Bergstraßen begleitet. Obwohl sich die technische Herangehensweise im Grunde nicht verändert hat - das Layout ist gleich, Motor vorne, antrieb hinten, oben offen - widmen wir uns den optischen Gemeinsamkeiten. Die Silhouette zum Beispiel - beide haben eine Lange Motorhaube und ein sportlich kurzes Heck. Während der Oldtimer mit seinen runden Scheinwerfern fast freundlich dreinschaut, zeigt der neue SL mit seinem bösen Blick, zu welch sportlichen Glanztaten er fähig ist.
Der neue SL ist aber nicht nur ein klassischer Mercedes, sondern auch ein echter AMG - der SL wurde nämlich in Affalterbach entwickelt. Was das heißt? Dynamik. Denn in den letzten Jahrzehnten war SL dann halt doch eher Sportlich Luxus und nicht sportlich leicht. Gut, superleicht ist der aktuelle SL auch nicht, wohl aber puristischer als seine direkten Vorgänger. Während der SL der Baureihe R 230 kurz nach der Jahrtausendwende ein Pionier bei den klappbaren Blechdächern, bzw Aluminium war, schwört der neue wieder auf ein Stoffdach. Und sind wir ehrlich - das Stoffhauberl macht ihn nicht nur leichter, alleine beim Dach spart sich der neue SL 27 Kilo, sondern auch schlanker, trainierter und ganz einfach schöner. Das Stoffverdeck öffnet sich in nur 15 Sekunden - bei bis zu 60 km/h. Und dank Nackenföhn und Sitzheizung hat der Cabrio-Spaß keine Einschränkungen, was die Jahreszeit betrifft. Wir freuen uns allerdings über belüftete Möbel - an heißen Sommertagen durchaus ein Komfortgewinn und auch ein echter Vorteil im Vergleich zu den klassischen SL. Ein weiterer ist sein Motor: Vier Liter Hubraum, Biturbo, 585 PS und unfassbare 800 Newtonmeter, die Gott sei Dank über alle viere auf den Asphalt kommen - eine Premiere beim SL. So sprintet der SL in nur 3,6 Sekunden auf Landstraßentempo - immer untermalt von einem Sound, den wir in naher Zukunft für das Unesco Weltkulturerbe vorschlagen werden.
Futur-Franzmann
Damit uns das V8-Gebollere des flotten Benz nicht zu sehr an die Vergangenheit bindet, wagen wir einen Blick in die Zukunft - genauer gesagt ins Jahr 2024, denn da steht der planmäßige Verkaufsstart des neuen Renault 5 an. Vor etwa 50 Lenzen tritt der R5 das erste Mal in Erscheinung. Mit seiner glatten, schnörkellosen und damit auch recht futuristischen Karosserie wird er schnell zum Publikumsliebling. Eine humane Preispolitik und das komfortable Fahrwerk kurbeln die Verkäufe an. Die Leistung schwankt stark – den Einstiegsfünfer mobilisieren gerade einmal 34 PS. Die Alpine genannte Sportversion fliegt mit bis zu 108 PS über den Asphalt.
Das Ende der Fahnenstange markiert aber der R5 Turbo mit Mittelmotor und 160 PS in der klassischen Straßenversion - und über 400 PS in der Maxi-Variante, die sogar die prestigeträchtige Rallye Monte Carlo gewann. Klingt gut, ist im alltäglichen Cityverkehr, der Heimat eines Kleinwagen, aber absolut unangebracht. Darum behält der kommende 5er die Designsprache des Klassikers und kombiniert diese mit einem drehmomentstarken Elektroantrieb. Rund 100 Kilowatt, also 136 PS wird der neue R5 leisten – und damit einmal alle "nicht-Rallye-Ahnen" in den Schatten stellen. Wir sind den neuen Franzosen noch nicht gefahren, allerdings sind wir uns sicher, dass der 2024er R5 um Welten besser fährt, als seine Vorgänger.
Im Endeffekt ist es ja immer das Gleiche – Altes hat Charme, Neues wiederum ist wesentlich bequemer. Klar macht es Freude, eine Schallplatte aufzulegen, allerdings ist der uneingeschränkte Zugang zu allen Musikstücken dieser Welt via Streaming einfach besser. Genau so ist es auch bei Autos. Eine Erkenntnis, die durchaus schmerzlich ist, denn ein Großteil der GO! Redaktion nennt zumindest einen Oldtimer sein eigen. Und diese werden auch gefahren. Hie und da zumindest. Zum Pickerl. Oder an einem perfekten Wochenendtag ohne Regen, an dem es nicht zu kalt, aber auch nicht zu heiß ist. Ansonsten schätzen wir alle die Annehmlichkeiten moderner Autos. Und moderner Bildschirme, auf denen wir uns liebend gerne die schwankende Bildqualität der alten Schinken aus den 60ern geben.