Österreich liebt seinen Allrad.
Motorsport-Legende Walter Röhrl ist nicht nur für seine flotte Fahrweise, sondern auch für sein nicht minder flottes Mundwerk bekannt. „Im Rallyesport wurde meine Vermutung bestätigt, dass ein Auto mit zwei angetriebenen Rädern nur eine Notlösung ist“, sagte der Deutsche einmal. Diese Behauptung mag zwar übertrieben sein, zumindest bei widrigen Straßenverhältnissen kann man ihr allerdings schon etwas abgewinnen. In jedem Fall ist der Vierradantrieb schon längst aus dem engen Korsett des elitären Rallyesports ausgebrochen, auch Fahrten im harten Gelände müssen nicht mehr als Ausrede für das Kreuzerl des oft aufpreispflichtigen Allrads herhalten. Fakt ist, dass der typische Österreicher zumindest in Teilen der Welt noch Lederhosen trägt und auf der Alm lebt. Danke, Sound of Music.
In der Tat wächst der Bestand vierradgetriebener Fahrzeuge, was aber nicht allein dem allgegenwärtigen SUV-Trend zuzuschreiben ist. Besonders die beliebten City-SUV gibt es oft ausschließlich mit nur einer angetriebenen Achse - zielführend, für sie der Ausflug auf unbefestigte Straßen mehr Ausnahme als Regel ist. Außerdem bedeutet ein Verzicht auf den Vierradantrieb auch einen Gewichtsvorteil, der im urbanen Bereich nicht nur auf einen geringeren Spritverbrauch, sondern auch eine Steigerung der Agilität bedeutet.
Diese Ausgabe trägt aber das Motto: Raus aus der Stadt, ab in den Wald. Oder aufs Feld, oder auf den Berg - auf jeden Fall runter vom Asphalt und rein in den Gatsch. Dort hat der Vierradantrieb nicht nur eine schlichte Daseinsberechtigung, sondern ist eine absolute Notwendigkeit.
Allrad ist nicht gleich Allrad
Es ist klar, dass ein Volkswagen Golf R weniger geländegängig ist, als beispielsweise eine Mercedes G-Klasse. Dazwischen gibt es aber viel feinere Differenzierungen. Anschaulich darstellen lassen sich die Unterschiede am Allrad-Pionier Audi und seinem Quattro-Antrieb. Denn auch Quattro ist nicht gleich Quattro. Modelle mit einem quer eingeboten Motor setzen auf einen temporären Allradantrieb. Im Normalfall ist beispielsweise ein Audi S3 mit Frontantrieb unterwegs. Erkennt das System ein Durchdrehen der Vorderräder, wird die Hinterachse mittels einer Haldex-Kupplung mit Kraft versorgt. Das passiert im Bruchteil einer Sekunde und ist für den Fahrer nicht erkennbar. Bis vor einigen Jahren war es bei Audi so, dass Allradmodelle mit einem längs-eingebauten Motor, also vor allem die großen Audis, mit einem Torsendifferenzial ausgestattet waren. Dieser Bauteil treibt immer beide Achsen an, was für einen permanenten Allradantrieb sorgt. Mittlerweile werden aber auch bei den großen Premiumfahrzeugen primär die Vorderräder angetrieben und die Hinterachse schaltet sich bei Bedarf dazu - dem Durst und dem CO2-Ausstoß geschuldet. Dank steter Weiterentwicklung merkt man auch bei vollem Gaseinsatz in engen Kurven nichts von der Drehmomentschupferei an den Antriebsrädern.
Für seine Flaggschiffe und Speerspitzen machen die Audianer übrigens eine Ausnahme. Autos mit mehr als 500 Newtonmeter dürfen weiterhin auf uneingeschränkten, permanenten Allradantrieb vertrauen. Ein Sonderfall ist der E-Tron Quattro. Dessen Allrad ist auch permanent, aber auch elektrisch. Die Antriebstechnik macht den Einbau des Allrads relativ einfach. Da die Vorderachse und die Hinterachse von je einem Motor angetrieben, was eine Kardanwelle, also die antriebstechnische Verbindung der beiden Achsen obsolet macht.
Alternativer Allrad Antrieb
In dieser Hinsicht sind sich die E-SUV im Premiumsegment einig. Wie der Audi hat auch der Mercedes EQC und der Jaguar I-Pace zwei angetriebene Achsen. Das Urmeter im Segment, das Model X von Tesla setzt schon seit 2015 auf einen Allradantrieb. Grund für diese Einigkeit ist nicht nur die unkomplizierte Installation des Allrads, sondern auch die immense Kraft der Fahrzeuge. Ab rund 400 PS leisten die E-SUV im Premiumsegment. In Verbindung mit der etwas härteren Gummimischung der Energiesparreifen wäre der, für den E-Motor charakteristische, schlagartige Einsatz der Newtonmeter eine unlösbare Aufgabe für nur eine Achse.
Aus einem ähnlichen Grund haben sich auch die extremsten der europäischen Powerlimousinen- und Kombis auf ein Antriebskonzept geeinigt: V8 und Allrad. Das deutsche Dreigestirn aus BMW M5, Mercedes E63 AMG und Audi RS6 bringt seine jeweils rund 600 PS nur über einen intelligenten Allradantrieb auf die Straße - und das nur schwer. Bei durchgetretenem Gaspedal kann nicht einmal mehr der liebe Gott den Reifen helfen, denen nichts anderes übrig bleibt, sich quietschend in Rauch aufzulösen. Je extremer also die Motorleistung, desto mehr Sinn macht es, sie auf zwei Achsen aufzuteilen. Ob Porsche 911 Turbo, Nissan GT-R oder die italienischen Diven, der Ferrari GTC4 Lusso oder der aktuelle Nordschleifen-Rekordhalter Lamborghini Aventador SVJ - sie alle vertrauen auf die angetriebene Räder. Der feuchte Traum aller Leistungsfetischisten, der Bugatti Chiron mit seinen wahnwitzigen 1.500 PS fuhr vor Kurzem einen neuen Geschwindigkeitsrekord - schneller als 490 Km/h, natürlich mit vier angetriebenen Rädern.
Wie schauts ein Stockwerk höher aus?
Aber Herr und Frau Österreicher fahren ja meistens nicht Lamborghini und Ferrari, sondern Skoda und Suzuki. Und sie fahren auch nicht auf der Nordschleife, sondern gern auch mal auf dem Feldweg. Genau hier kommen die praktischen Eigenschaften des Vierradantriebs zum Vorschein - Durchkommen um jeden Preis. So überwinden schon ganz normale Familien-SUV, wie der Skoda Kodiaq, Mazda CX-5 oder Seat Tarraco, Hindernisse, die man ihnen gar nicht zutraut. Ihr eigentliches Habitat, also der Weg in die Schule, in die Arbeit oder zum Fußballtraining, wird nämlich manchmal verlassen. Die Gelände-Talente von Tarraco und Co sind schon bei ganz alltäglichen Situationen nützlich. Stellen Sie sich vor, sie Fahren zum Skilift - und müssen sich im nahen Umkreis davon einparken. Einparken ist oft einfach, das rauskommen nicht. Front- oder Heckgetriebene Fahrzeuge benötigen oft fremde Hilfe - der Allradler schafft es in der Regel aus eigener Kraft. Aber nicht nur das „vom Fleck kommen“ zeichnet Autos mit Allradantrieb aus, sondern die gesteigerte Sicherheit während des Fahrens. Ein Auto, bei dem beide Achsen mit Leistung versorgt werden, hat mehr Trip und über- oder untersteuert später.
Nicht ums Übersteuern, sondern ums Überklettern geht es bei den Geländewagen, für die ein Allradantrieb essenziell ist. Ein solcher Klettermax ist beispielsweise der Suzuki Jimny, der Förster, Jäger und Offroadjunkies seit dem letzten Jahr glücklich macht. Der wirkt nicht nur, wie auf die heimischen Wälder zugeschnitten, er ist es tatsächlich - die Allradtechnik erhielt ihren Feinschliff unter anderem im Burgenländischen Stotzing. Dort, im schweren Gelände, kann auch der in Graz gebaute Mercedes G überzeugen - wie der Suzuki steht der G auf einem Leiterrahmen, der extreme Verschränkungen und damit auch extreme Hürden möglich macht.
Mehr Antrieb, mehr Kohle?
Natürlich wirkt sich der Allradantrieb auf den Preis eines Fahrzeugs aus. Manche, wie die Geländefahrzeuge Suzuki Jimny, Mercedes G und Jeep Wrangler sind immer mit zwei Antriebsachsen ausgestattet. Bei anderen Modellen ist ein Allradantrieb erst ab einer bestimmten Ausstattung oder Motorisierung als Serienmitgift vorhanden. Viele Automodelle können aber auch optional mit einem Vierradantrieb versehen werden. Bei Mazda kostet der CX-5 mit Allrad etwa 2.500 Euro mehr als die Variante mit Frontantrieb. Bei Mercedes Benz kann man die Kompakte A-Klasse um 3.500 Euro mit dem Vierradantrieb ausrüsten. Ab etwa 2.000 Euro bekommt auch die Hinterachse des Skoda Superb die Antriebskraft zu spüren.
Der Allradantrieb gehört zu Österreich, wie das Twinni ins Freibad. Wer skeptisch ob des Mehrverbrauchs ist, sollte immer an unsere Bundeshymne denken. Land der Berge …